Anja Wackhusen, Klavier
Als der Pianist Paul Wittgenstein im 1. Weltkrieg seinen rechten Arm verlor, erstand aus dieser persönlichen Tragik die Kraft, Komponisten mit Stücken für die linke Hand allein zu beauftragen. Ravel schrieb für ihn das Klavierkonzert G-dur und D-dur, Scriabin Prelude und Nocturne opus 9. Dies sind Höhepunkte einer Gattung, die mit dem aufkommenden 19. Jahrhundert begann.
Zu der Zeit wurde die romantische Klavierliteratur rasch technisch anspruchsvoller, die Instrumente größer, lauter, und dadurch die Tastatur schwergängiger. So wurde es notwendig, die linke Hand besonders zu fördern. Literatur allein für die linke Hand wurde benötigt – Beiträge dazu leisteten bekannte Komponisten wie Brahms, Liszt und Scriabin, alle selber hervorragende Pianisten und mit der Problematik der linken Hand vertraut, und unbekanntere Komponisten und Klavierpädagogen wie Berger, Schmitt, Reinecke und Marxsen, die die aus Norddeutschland stammende Pianistin Anja Wackhusen für diese Veröffentlichung herausgesucht hat.
Ludwig Berger wurde 1777 geboren und geht 1805 als Schüler Clementis mit ihm nach St. Petersburg. Dort zog er sich durch unzweckmäßiges Üben ein Armleiden zu, dass es ihm unmöglich machte, mit den steigenden klaviertechnischen Anforderungen Schritt zu halten. Berger lebte als begehrter Klavierpädagode bis zu seinem Tod 1839 in Berlin, zu seinen Schülern zählen u.a. Mendelssohn Bartholdy, Fanny Hensel und Wilhelm Taubert. Jakob Schmitt (1803-1853) war Schüler seines älteren Bruders Aloys Schmitt. Er wirkte lebenslang als Klavierpädagoge in Hamburg. Unter seinen 330 Opusnummern befindet sich auch die »vollständige praktische Pianoforte-Schule« op. 301, die 1845 in Hamburg erschien und in Norddeutschland große Verbreitung fand. Sein einziges erhaltenes Werk für die linke Hand ist die Etude de Chant ohne Opuszahl. Carl Heinrich Carsten Reinecke wurde 1824 in Hamburg-Altona geboren. Er studierte ebenso wie der bekannte Hamburger Klavierpädagoge Cornelius Gurlitt bei seinem Vater Rudolf Reinecke. Von 1860 bis zu seinem Tod 1910 lebte Reinecke als Dirigent und Professor für Klavier in Leipzig, wo er auch Edvard Grieg unterrichtete. Der Hamburger Eduard Marxsen, geboren 1806, kehrte nach seinem Studium für Klavier und Komposition in Wien nach Hamburg zurück und unterrichtete dort zehn Jahre Johannes Brahms. Für die linke Hand schrieb Marxsen 6 Etüden op. 40 und La Ricordanza aus 3 Impromptus op. 33, welches er dem böhmischen Pianisten und Komponisten Alexander Dreyschock widmete. Theodor Leschetizki (1830-1915), ein Schüler Carl Czerny´s, komponierte knapp 80 Klavierstücke, die sich an Chopin und Liszt orientieren. Berühmte Pianisten wie z. B. Ignaz Friedmann, Elly Ney, Ignaz Paderewsky und Artur Schnabel bildete er aus. Das Andante finale op. 13 ist eine Paraphrase über das bekannte Sextett Chi me frena in tal momento aus der Oper Lucia di Lammermoor von Donizetti. Unter seinen Transkriptionen ist es das einzige Werk, für das er eine eigene Opusnummer vergeben hat. Manuel M. Ponce, 1882 als 12. Kind in Zacatecas, Mexico geboren, erhielt den ersten Klavierunterricht bei seiner Schwester Josefina. Bis 1933 war Ponce in Paris und studierte bei Martin Krause und Paul Dukas. Dort entstand 1931 das Prelude in einem typisch spanischen Rhythmus (3+3+2) und die 3-stimmige Fuge für die linke Hand. »Malgré tout« – Trotz alldem – ist eine Habanera für die linke Hand. Ponce schrieb sie 1909 als Hommage an seinen einarmigen Freund und Skulpteur Jésus F. Contreras aus Aquascalientes, der durch einen Unfall seinen rechten Arm verlor und dennoch weiterarbeitete; u.a. eine Skuptur mit dem Namen Malgré tout.