Maria Lettberg, Klavier
Maria Lettberg bekennt sich selbst als abhängig, geradezu süchtig nach Skrjabins Musik. Sie begann 2004, alle mit Opuszahlen versehenen Solo-Klavierwerke von Alexander Skrjabin einzuspielen. So entstanden innerhalb von vier Jahren acht CDs. 2012 folgte die CD Opus Posthum mit frühen Werken Skrjabins. Nun folgt anlässlich Skrjabins 100. Todestags unter dem Titel Poème de l‘extase eine ganz persönliche Hommage CD. Im Zentrum dieser Produktion steht Alexander Skrjabin mit seinem 1908 vollendeten Poème de l’extase op. 54. Ein Werk, das für Maria Lettberg das gesamte Schaffen von Skrjabin repräsentiert.
Die Dichtung, um die es in Skrjabins großem Orchesterwerk Poème de l’extase geht, handelt von einem Geist, der sich zu neuen Sphären aufschwingt. Diese Idee ist typisch und ein Kern Skrjabins Musik. Maria Lettberg sieht die Idee der Ekstase in Skrjabins Werk aber nicht nur als Ausbruch, sondern auch als Sehnsucht und in einem theosophischen Sinn als das Universum und die Schöpfung als erotischen Akt. In der ausgezeichneten und pianistisch äußerst anspruchsvollen Bearbeitung für Klavier von Sergej Pawtschinky wirkt das Poème de l’extase wie original für das Klavier geschaffen. Das weitere Programm repräsentiert bewusst nicht Komponisten aus Skrjabins Umfeld. Olivier Messiaen war kein Skrjabinist, aber die ästhetischen Verbindungen sind deutlich zu erkennen: Synästhesie, Neigung zu Orientalismus und Pantheismus, Schöpfung einer neuen Weltvision – die Welt der Ekstase. Die Auswahl des ersten (Blick des Vaters) und letzten Stückes (Blick auf die Kirche der Liebe) aus dem großen Klavierzyklus von 1944 Zwanzig Blicke auf das Jesuskind führt in die Welt der religiösen der Rauschzustände. Auch bei Franz Liszts Trauergondel Nr. 2 – als Trauermusik nach Richard Wagners Tod komponiert – kann man diese Exstase und eine enge Verbindung zu Skrjabinscher Musik hören. Mit dem Jazzmusiker Harald Banter und dem Musikwissenschaftler und Skrjabin-Forscher Manfred Kelkel wählte Lettberg eher unbekannte Komponisten aus. Manfred Kelkels Tombeau de Scriabine op. 22 wurde 1972 zum 100. Geburtstages von Skrjabin von Radio France in Auftrag gegeben. Harald Banter greift in seinem Maria Lettberg gewidmeten Werk Naître et disparaître von 2008 auf Skrjabins Idee vom Schöpfungsakt im Kosmos zurück. Der Schüler von Hans Werner Henze und Bernd Alois Zimmermann trat als Jazzmusiker mit Albert Mangelsdorff auf und wurde vor allem als Bandleader des WDR in dessen Gründungsjahren bekannt. Banter versucht nicht, in Skrjabins Stil zu schreiben, sondern er adaptiert dessen Idee für seine eigene Vision. Und genau darum geht es Maria Lettberg: Die Musik von heute hat dem Visionär Skrjabin viel zu verdanken.