Maria Lettberg, Klavier
»Vor fünf Jahren habe ich eine Einspielung sämtlicher mit Opuszahlen versehener Klavierwerke von Alexander Scriabin vorgelegt. Acht CDs, 207 Werke, acht Stunden Musik habe ich einstudiert, in Konzerten gespielt und schließlich aufgenommen. Es war eine wunderbare und zugleich verrückte Zeit – „Scriabin pur“, eine unfassbare Reise durch den Mikrokosmos seines Schaffens. Man verliert sich in dieser Welt voller Versuchungen. Manchmal hatte ich das Gefühl, zu einer Art „Stalker“ wie in Andrei Tarkowskys Film zu werden und anstelle der „Zone“ von der Musik Scriabins in einen Bann gezogen zu werden. […] Scriabins Musik erschließt sich über Umwege, aber dann geht sie unter die Haut, wie eine Droge berauscht sie, macht euphorisch, süchtig und… glücklich.« Maria Lettberg
Bei dieser Gesamteinspielung fehlten die Jugendwerke ohne Opuszahlen. Nun hat sich Maria Lettberg ernsthaft mit diesen Stücken beschäftigt und hat sie bei ES-DUR in Kooperation mit Deutschlandradio Kultur eingespielt. Scriabin hat sehr jung angefangen zu komponieren. In den Jahren von 1885 bis 1889 führte er in einem seiner Skizzenhefte ein Werkverzeichnis, in dem ungefähr 50 Stücke aufgeführt sind. Einige dieser Werke wurden später von Scriabin überarbeitet und veröffentlicht, andere erst nach seinem Tod publiziert und viele sind verschollen. Die Frage, weshalb der Komponist diese Werke nicht publizierte, ist relativ leicht zu beantworten. Sein Kompositionsstil hat sich in dieser Phase einfach zu schnell weiterentwickelt. Von einer traditionellen, romantisch-lyrischen Schreibart ausgehend formte Scriabin seinen ganz eigenen modernen, symbolistischen Stil. In der harmonischen Gestaltung emanzipierte er die Dissonanz. Auf der vorliegenden CD finden sich neben Fugen, Walzern und frühen ersten Fassungen von Sonaten auch drei Ersteinspielungen von Werken, die erst 1997 ediert wurden: die zwei Scherzos und das Klavierstück b-Moll. Die beiden Scherzos aus dem Jahr 1886 sind die einzigen Gattungsvertreter ihrer Art im Schaffens Scriabins. Auch das Klavierstück b-Moll von 1887 mit seinem unbeschwerten, verspielten Charakter könnte man als eine Art Scherzo bezeichnen. Lange kümmerte man sich nicht um das als unvollendet geltende Autograph, das nach 92 Takten abbricht. Allerdings kann man analog zum Beginn des Stückes die fehlenden vier Takte sinngemäß ergänzen und entdeckt ein wahres Schmuckstück im Œuvre Scriabins. Alexander Scriabin und Tatjana Schlözers Sohn Julian Scriabin komponierte auch schon sehr früh. Bevor dieser unter tragischen und ungeklärten Umständen 1919 mit elf Jahren im Dnepr ertrank, war er der jüngste und zugleich talentierteste Schüler am Konservatorium von Kiew gewesen. Die Stimmung der vier Préludes ist düster und mystisch, eng dem Post-Prometheus-Stil des Vaters verwandt, es ist noch ungeklärt, ob die Stücke wirklich dem Sohn zuzuschreiben sind, oder nicht doch aus unveröffentlichten Skizzenbüchern Alexanders stammen. Maria Lettberg zählt zu einer der spannendsten Pianistinnen Europas. Die schwedische Staatsbürgerin ist in Riga geboren und lebt zurzeit in Berlin. Maria Lettbergs Talent wurde früh erkannt und gefördert; von der zentralen lettischen Eliteschule für musikalisch begabte Kinder ging sie direkt an das Petersburger Konservatorium. Wichtige Lehrer waren u.a. Andrej Gavrilov, Paul Badura-Skoda, Menahem Pressler. Sie spielt auf einem Bechstein D Flügel. Flügel der Firma Bechstein bekam Scriabin immer, egal ob in Deutschland, Russland oder England, zur Verfügung gestellt. Ein Bechstein-Flügel, als Geschenk der Firma Scriabin überlassen, steht noch heute im Arbeitszimmer des Komponisten in seiner Moskauer Wohnung. Der warme Klang und die Leichtigkeit eines Bechsteins passt ausgezeichnet zu Scriabins Musik, die in dieser Einspielung dadurch einen authentischen Klang wiedergewinnt.