Marco Marzocchi, Klavier
Die Begegnung mit dem Spätwerk Gioachino Rossinis kam für den italienischen Pianisten Marco Marzocchi vollkommen unerwartet. 2009, bei der Feier nach den Aufnahmen zur CD Un Rendez-Vous (Lieder und Arietten von Rossini) mit Anna Bonitatibus überreichte die Mezzosopranistin ihrem Klavierbegleiter als Überraschung und Dankeschön Noten der Pechés de vieiellesse. Marco Marzocchi wusste zwar, dass es Werke von Rossini für Klavier gab, aber die Qualität, der Witz und die pianistische Herausforderung und Tiefe der Werke hielten ihn unmittelbar gefangen: »Ich begann zunächst mit Neugier darin zu blättern; dann – mit wachsendem Staunen – wurde ich mir allmählich ihres künstlerischen Wertes bewusst. Ich war fasziniert von der Vielfalt und der Genialität dieser Kompositionen, von der Besonderheit ihrer Titel, von der Intensität ihrer Musik: es war eine „Liebe auf den ersten Blick“, die bald zu einer wahren Leidenschaft wurde.«
Bei einem Konzert in Hamburg entstand dann die Idee, eine Auswahl dieser Pechés de vieillesse als CD zu produzieren; darunter auch eins der Lieblingsstücke Marco Marzocchis – das Petit caprice (Style Offenbach), das dieser CD den Namen gab. Künstlerische Neugier spielt für Marco Marzocchi eine wichtige Rolle und führte ihn auch dazu, nach seinem Klavierstudium am Konservatorium L. Refice in Frosinone das Cembalo-Diplom am Konservatorium Santa Cecilia in Rom mit Auszeichnung zu erwerben. Als Gewiner des Sonderpreises für zeitgenössische Musik beim Wettbewerb Béla Bartók 1987 in Rom besuchte er Kurse an der Liszt-Akademie in Budapest. Das solistische Repertoire von Marco Marzocchi reicht von Couperin, Bach, Rameau und Mozart über das ganze 19. Jahrhundert bis hin zu Skrjabin, Ravel, Prokofiev und die zeitgenössische Musik. Mit der Pianistin Cristina Biagini gründete er das Duo Biagini-Marzocchi, das bei wichtigen nationalen und internationalen Konzertanlässen auftritt und zahlreiche CD-Veröffentlichungen eingespielt hat. Marco Marzocchi gibt neben seiner Lehrtätigkeit am Konservatorium O. Respighi in Latina weltweit Seminare und Masterclasses. Gioachino Rossini (1792-1868) widmete sich in seinen letzten elf Lebensjahren nach langer Schaffenspause vorwiegend der pianistischen Salonmusik. Er schuf ein umfangreiches Spätwerk, das er unter dem Titel »Alterssünden« zusammenfasste und so beschrieb: »Ein bisschen von Allem. Sammlung von 56 halbkomischen Stücken für das Klavier, nämlich Viermal Studentenfutter, Vier Vorspeisen, [und] vier Alben zu je zwölf Nummern. Ich widme diese Alterssünden den Pianisten der vierten Klasse, zu denen dazuzugehören ich die Ehre habe!« Rossinis Beschäftigung sowohl mit alten Meistern als auch mit den aktuellen Strömungen seiner Zeit kommt in seinen Klavierstücken durch Anklänge an Scarlatti und Bach sowie Chopin und Liszt zum Ausdruck. Alltägliches vermischt sich dabei mit Außergewöhnlichem: Der Betrunkene Walzer (Valse Boiteuse) steht neben der musikalischen Darstellung von tiefstem Schlaf (Profond sommeil) oder Parodien auf mehr oder weniger bewunderte oder befreundete Komponisten wie Offenbach oder Wagner. Kurze Stücke von wenigen Takten stehen neben Werken von 15 Minuten Länge. Rossinis Gedankenwelt ist voller Assoziationen, und die Eindrücke, die sein wacher Geist in Alltagssituationen oder durch das Studium empfängt, werden gleichsam musikalisch verarbeitet und fließen in das Werk und die Titelgebung ein. Die auf dieser CD vorliegende Auswahl aus vier der jeweils zwölfteiligen Alben respektiert eine rossinische Maxime, nämlich die dramaturgische Abwechslung von kontrastierenden Elementen wie kurz-lang, schnell-langsam, lyrischdramatisch usw. und umfasst die kanonische Zahl von 12 Stücken.